Zweiter Frühling.com



Text:
Daniel Kruse    Bild: Photocase.de

“Bitte
Geburtsjahr korrigieren”, leuchtet auf dem Bildschirm, als
Irmgard Palusinski die erste E-Mail-Adresse ihres Lebens einrichten will. Mit der Silber-Surferin hat das System nicht gerechnet: Die 94-Jährige ist Deutschlands älteste Internetnutzerin. Seit vier Jahren online, sendet die Dame vom PC des Altenheims inzwischen problemlos E-Mails an Freunde in den USA und ihre Kirchengemeinde in Hamburg-Poppenbüttel.


Sonderfall Palusins
ki aber kein Einzelfall. 30,5 Prozent der so genannten Best Ager über 50 Jahren nutzen nach den Ergebnissen des (N)Onliner Atlas 2005 das Internet, 800.000 mehr als noch im letzten Jahr. In der Altersgruppe der 50- bis  59-Jährigen ist rund jeder Zweite online, in der Altersgruppe "70 plus" surft immerhin noch jeder Zehnte.

“Berufstätigkeit, Bildung und Einkommen begünstigen das Interesse am Internet”, erläutert Katharina Ahrens von der
Initiative D21. Der Zusammenschluss von rund 400 Vertretern aus Politik und Wirtschaft will die Rahmenbedingungen für einen schnellen und erfolgreichen Wandel zur  Informations- und Wissensgesellschaft schaffen. Dazu gehört zum Beispiel die Aktion “50 plus ans Netz”: Mit Schulungen, weiterführenden Online-Kursen und vereinfachten Hardware-Angeboten wird versucht, den Zugang zu PC und Internet schmackhaft zu machen.

Dabei liegt die Hemmschwelle offenbar nicht am Problem der Usability: “Zwar haben viele Anfänger Probleme mit der Steuerung der Maus, zum Beispiel beim Klick auf eng aneinander liegende Menü-Buttons” erklärt Jutta Croll, Geschäftsführerin der
Stiftung Digitale Chancen, einer bundesweiten Organisation, die sich unterstützt von AOL Deutschland seit 2002 der Förderung der Medienkompetenz widmet. “Den Umgang mit der Tastatur sind die meisten Nutzer von der Schreibmaschine her jedoch gewohnt.” Bereits 2003 versuchte die sächsische Firma Lintec mit dem “Senioren-PC” die Zielgruppe der Alten zu erreichen. In der Werbung hieß es: “Große Buchstaben, keine englischen Fachbegriffe, eine für jedermann verständliche Führung durch das Programm.” Außerdem wurden Form und Funktionen des Systems an die eines Videorekorders angepasst. Das nett gemeinte Angebot in Anlehnung an die Mediengewohnheiten der Best Ager floppte: “Eben das wollten die Älteren nicht. Wenn schon mit dem Computer lernen, dann auf Augenhöhe mit den Kids”, erklärt Croll.

Das Ziel müsse hingegen sein, die richtigen Anreize zu schaffen. “Wenn jemand zum Beispiel den Tanzpartner von einst über Google wieder entdeckt, dann kann das den entscheidenden Aha-Effekt bringen”, sagt Croll. “Sobald die Leute merken: ´Da ist auch für mich was dabei´, kommt die Lernmotivation von ganz allein.” Weder der PC in Gestalt eines Videorekorders noch groß angelegte Werbekampagnen würden hier Sinn machen. Nötig seien die eigenen Positiv-Erfahrungen am Bildschirm. Dann hält das Internet gerade für die weniger mobilen Menschen großen Nutzen bereit: Den Gang zu Reisebüro, Bank und Kaufhaus, Ämtern und Apotheken können Online-Services oftmals ersparen. Doch birgt das komfortable Klicken von zu Haus nicht auch eine neuartige Gefahr der Isolation?

Katharina Ahrens widerspricht: “Die Alten zeigen sich von den kommunikativen Fähigkeiten des Webs fasziniert. Chats sind äußerst beliebt und so entstehen Communities, die sich oft ganz real zum Kaffee verabreden. Außerdem bieten Magazine wie
feierabend.com spezielle Veranstaltungstipps und Kontaktbörsen, die rege genutzt werden.” Viele erweitern ihre traditionellen Hobbies nun virtuell: Auf der Seite commanet.org werden zum Beispiel historische Fotos archiviert, Sammler aus aller Welt können so ihre Schmuckstücke teilen.

“Gerade einsamen Menschen geht der Austausch von Mail-Adressen viel leichter von der Hand, als zum Beispiel eine persönliche Einladung auszusprechen. Was mache ich, wenn der Mensch mir doch nicht gefällt, wie werde ich ihn freundlich wieder los? Die unverbindliche Rundmail senkt die Kontakt-Angst”, sagt Christian Carls vom
Kompetenz-Netzwerk Senioren Online. Neben Projekten, die das soziale Leben der Alten auffrischen, schulte seine Initiative zuletzt ehrenamtliche Betreuer von Arbeitssuchenden in Internetcafés. Selbst „gering Qualifizierte“ müssen heute Daten eingeben und Geräte über den Computer steuern. Nicht zuletzt werden immer mehr Stellen ausschließlich online inseriert. So stellte Sozialpädagoge Carls eine virtuelle Lerngruppe auf die Beine, in denen Themen wie „Bewerbungsunterlagen in Word“ oder „Umgang mit Jobbörsen“ geschult wurden. Nach physischen Workshops tauschten sich die Teilnehmer über Mailinglisten, Chats und Foren aus. Rund zehn Prozent der 7.200 deutschen Internet-Cafés sind laut der Stiftung Digitale Chancen ausschließlich auf die Silber-Surfer spezialisiert, NRW weist mit rund 250 Einrichtungen dieser Art die beste Infrastruktur auf. Dennoch sind zum Beispiel skandinavische Länder dem Ziel „Internet für Alle“ näher. 

Zunächst erschreckt hier niemand bei den Wörtern Browser, Hyperlink oder Community, denn Englisch wird dort wie eine zweite Muttersprache gehandelt. Weiterhin gehört das “lebenslange Lernen” im Norden zum kulturellen Selbstverständnis. Gestützt wird das Ganze schließlich von einer höheren Dichte an Bibliotheken mit Online-Zugang und nicht zuletzt massiven Kampagnen, so wie es die Initiative D21 für Deutschland versucht.


Was die Generation 50 plus betrifft, geht der Weg also über eine verstärkte Bildungsoffensive an PC und Internet. Kommt die Neugier von Frau
Palusinski hinzu, bedeutet das Internet für Ältere ein komfortables Service-Instrument sowie eine neue Chance auf gesellschaftliche Beteiligung.


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