Geheime Verführer und die Ware Medien
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„... für den akademischen Fortschritt und die Kultur überhaupt ist es enorm wichtig, dass es ein umfassendes Repertoire von großartigem Material gibt, das die Menschen frei nutzen und zitieren können. Würde Goethe heute leben, hätte er seine Gedichte nach den neuen Regeln für elektronische Medien an irgendein Hollywood-Studio lizenziert. Dann müssten Sie jedes Mal zahlen, wenn Sie ihn zitieren wollen.“
Tim Berners-Lee, Interview mit der taz, 2002



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Neue Gegenwart: Herr Professor Lessig, was würden Sie Herrn Goethe heute raten?

Lawrence Lessig:

Dear Mr. Goethe:

Berners-Lee hat Recht. Unser heutiges Gesetz kontrolliert Kultur, wie es zu ihrer Zeit niemals vorstellbar gewesen wäre. Jedes Ihrer Werke würde automatisch noch 70 Jahre nach Ihrem Tod einem Urheberrecht unterliegen – bis zum frühen 20. Jahrhundert also. Vielleicht müsste man nicht unbedingt jedes Mal zahlen, wenn man Sie zitiert. Aber wenn Ihre Gedichte von Anwälten der etwas härteren Gangart vertreten werden, so müsste man zumindest jedes Mal zitternd um Erlaubnis bitten.

Sollten Sie diese Macht der modernen Gesetzgebung hinnehmen? Ich hoffe nicht. Denn was die meisten Menschen am heutigen Copyright stört, ist die allgegenwärtige Kontrolle. Während sich das Leben in die digitale Welt bewegt, und immer mehr von unserer Kultur in diesen digitalen Räumen geschaffen und verbreitet wird, desto mehr entsteht ein Geflecht von Rechtsvorschriften. Ein Beispiel: Wenn jemand in der analogen Welt ein Gedicht liest, ist das Urheberrecht nicht betroffen - denn das Lesen eines Gedichtes in der analogen Welt produziert keine „Kopie“. Aber in der digitalen Welt bedeutet sogar das Lesen Ihrer Gedichte eine Vervielfältigung und somit löst allein das Lesen ein Urheberrecht aus. Je mehr sich das Leben digitalisiert, desto stärker reguliert das Gesetz jede Nutzung von Kultur – weit über den ursprünglichen Sinn hinaus. Und mit Sicherheit erfüllt es nicht mehr den eigentlichen Zweck, Kultur zu vermitteln.

Lieber Herr Goethe, natürlich würde ich Ihnen raten, Ihre kommerziellen Rechte aggressiv wahrzunehmen. Auch Autoren und Künstler müssen essen. Aber seien Sie großzügig mit der nicht-kommerziellen Nutzung ihrer kreativen Werke. Erlauben Sie Studenten, jungen Bands, Bloggern und Videokünstlern ein Stück von Ihrer Brillanz, damit sie darauf aufbauen können, ohne vorher um Ihre Erlaubnis bitten zu müssen. Anders gesagt: Auch wenn mancher Verwendungszweck Ihre Erlaubnis verlangt, gehen Sie sicher, dass der größte Teil zur freien Verfügung steht. Die Bedeutung ihrer Werke sollte nicht zur Sache von Anwälten verkommen, die um Erlaubnis betteln, um eine Idee auszudrücken. Ihre Werke sollten als Schatz der Menschheit Teil einer freien Kultur sein.

Und übrigens, ich hätte zu diesem Zweck ein paar kostenlose Lizenzen für Sie:
de.creativecommons.org.


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Zur Person



Prof. Dr. Lawrence Lessig

Lawrence Lessig ist Juraprofessor an der Stanford University Law School und Gründer des dortigen Center for Internet and Society. Als CEO und Chairman von Creative Commons führt er eine weltweit agierende Non-Profit-Organisation, die Autoren, Musikern und anderen Urhebern kreativer Werke hilft, ihre Schöpfungen auf innovative Art digital zu verbreiten.


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