„Cordula,
du willst mit Ralf einen Swingerclub eröffnen“
Text:
Hendrik Steinkuhl
Bild: Photocase.com
Schillerstraße muss man mögen, oder? Ich konnte mich meist schon nicht mehr
halten, wenn dieser Carsten Flöter aus der Lindenstraße irgendwas in sein
Mikro sabbelte. Seit Ende September 2005 hat seinen Job die Erfinderin der
Sendung, Maike Tatzig, selbst übernommen. Besser geworden ist dadurch leider
nichts.
„Cordula, du willst mit Ralf einen Swingerclub eröffnen“, und dann fängt
Cordula an, den kleinen Ralf zu überreden, während der
„Maddin“ im Hintergrund
seine Gesichtskirmes eröffnet. „Zum Brüllen“ komisch.
Zwischenfrage: Warum wird die Qualität des Fernsehens eigentlich immer an
den ganz offensichtlich schlechten Sendungen gemessen – an der Massenware,
lieblos zusammengezimmert, stets vorhersehbar? Dummerweise trifft diese
Umschreibung auch auf „Schillerstraße“ zu… also ergänzen wir: mit von der
Kritik verrissen, manchmal auch Quotengift und dem
Tutti-Frutti-Effekt (sprich: keiner will es gesehen haben) sind wir wohl
aus dem Schneider.
Klar erkennbaren Schrott gab es schon immer. Zwischen „Der heiße Stuhl“ vor
15 Jahren und „Richter Alexander Hold“ Abstufungen zu suchen, ist ungefähr
so sinnvoll, wie Fäkalien nach Geruch zu unterscheiden; und der Versuch, von
der Stichprobe aus dem Bodensatz auf die Qualität des ganzen Gewässers zu
schließen, völliger Unfug.
Reden wir lieber über die, die oben sind; denen viele Menschen zuschauen,
die von Kritikern gelobt und mit Preise zugeschmissen werden.
Wir sind zurück auf der „Schillerstraße“ – und bleiben noch kurz metaphorisch.
Auf der „Schillerstraße“ fährt man langsam, maximal 30. Man könnte mit
gewissem Recht auch von einer verkehrsberuhigten Zone sprechen. Die „Schillerstraße“ läuft immer geradeaus; wer scharfe Kurven mag, vermisst sie
hier, wer sich über Abwechslung am Straßenrand freut, wird auch die nicht
finden.
Ich habe bei „Schillerstraße“ noch nicht ein einziges Mal gelacht. Nicht
ein Mal! Aufrichtig habe ich versucht, mich auf die Sendung
einzulassen. Und jedes Mal endete der Versuch wieder mit der Frage, welche
Drogen man dem Saalpublikum gegeben haben muss, damit es sich bei jeder
Belanglosigkeit vor Freude fast übergibt.
Da Irritationen dieser Art dazu im Stande sind, mir den Schlaf zu rauben,
habe ich Beobachtungen und Befragungen im Freundeskreis angestellt.
Herausgekommen ist folgendes: Ich bin keine Ausnahme. Zwar überwiegt die
Zahl derer, die die „Schillerstraße“ nach eigener Aussage „lieben“ – doch gibt
es auch einige, die damit so wenig anfangen können wie ich. Die zweite
Gruppe besteht dabei erstaunlicherweise ausschließlich aus Männern, während
die Fans überwiegend weiblich sind. Zu den wenigen Männern der ersten Gruppe
möchte ich noch eine Anmerkung machen: Es handelt sich um Männer, die in der
Regel „Die fabelhafte Welt der Amelie“ mögen und auch „Sex and the City“
etwas abgewinnen können.
Den größten Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Wahrnehmung habe
ich übrigens an der Figur des „Maddin“ festgestellt: Frauen, bei denen ich
die Gefühlsregung „lautes Lachen, übergehend in Gebrüll“ wegen ihres
sonstigen Auftretens ausgeschlossen hatte, zeigen genau dieses Verhalten
jedes Mal, wenn der Maddin seine Gesichtskirmes eröffnet. Die männlichen
Betrachter verharren meist regungslos.
Zu demselben Ergebnis bin ich übrigens schon in einer früheren Feldstudie
gekommen – damals ging es um die Wirkung von
Piet Klocke (die Älteren
erinnern sich vielleicht): Schallendes weibliches Gelächter, sobald der
erste Satz versandete, parallel dazu männliche Gleichgültigkeit.
Ist vorhersehbarer Humor eigentlich Frauensache? (Huch, das kam jetzt
plötzlich, obwohl sich die Frage schon seit zehn Sätzen aufdrängt).
Und wenn wir den Spieß umdrehen: Verlangen Männer, die durchschnittlich
zweieinhalb Paar Schuhe besitzen, in Sachen Spaß mehr Abwechslung als es
Frauen tun? Eine breitere Klaviatur, mit Polemik, Ironie, Wortspielen? Nicht
nur die ewig gleichen Grimassen, die ewig gleichen Regieanweisungen, die
allenfalls scheinbaren Variationen? Tatsächlich frage ich mich das und würde
mich über Antworten freuen („Voll normaal“ als einziges Gegenargument
akzeptiere ich übrigens nicht).
Sicher bin ich mir darin, dass der deutsche Humor am Boden liegt. Wir sind
also wieder auf der „Schillerstraße“. Wenn hier wirklich die derzeit
erfolgreichste Comedy im deutschen Fernsehen geboten wird, dann muss der
Rest ja völlig unerträglich sein. Ein kurzer Blick in die Runde zeigt: Dem
ist wohl so.
Komisch ist an guten Tagen immer noch Harald Schmidt, „Stromberg“ ist
komisch, und „Dittsche“, auf seine Art. Gemeinsam haben alle, dass sie
Randgruppenformate sind; die Masse lacht woanders.
Vor acht Jahren wurde „RTL Samstag Nacht“ eingestellt; vermutlich zwei Jahre
zu spät. In ihrer Glanzzeit war diese Show trotz vieler Dauerbrenner wie
„Zwei Stühle, eine Meinung“ oder „Derrick“ kaum vorhersehbar. Sie war böse,
verspielt, anspruchsvoll, insgesamt von einer heute fast unglaublich
erscheinenden Varianz. Schließlich: Sie wurde von Kritikern gelobt und war
trotzdem Talk of the town.
Mit ihrem Erfolg ist „Schillerstraße“ die Sendung, die meiner
Erinnerung einreden will, dass seit „Samstag Nacht“ nicht zehn, sondern
zwanzig Jahre vergangen sind. Allmählich verliere ich die Lust am Fernsehen.
Schuld daran ist weder das Jamba-Monats-Sparabo noch der „Hot-Button“
auf Neun Live. Schuld daran ist, dass ich es nicht ertragen kann, wenn
Unterdurchschnittliches aus Mangel an Konkurrenz zur Spitzenklasse
hochgejubelt wird.
Willkommen auf der „Schillerstraße“! |
AUSGABE 49
GUTES FERNSEHEN –
SCHLECHTES FERNSEHEN
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EDITORIAL VON BJÖRN
BRÜCKERHOFF
INTERVIEW MIT UWE KAMMANN
UND EWIG FEHLT DER KÜPPERSBUSCH
EXPERTINNEN-INVASION AUF RTL
2
QUALITÄT, (UN-)BEKANNTE GRÖSSE
DIE VERUNGLÜCKTE LEHRPROBE
NETZER GEGEN KLOPP GEGEN VÖLLER
GESCHMACKSSACHE: KOCH-MEDITATION
WELTGESCHEHEN MIT SCHLAGOBERS
"CORDULA, DU WILLST MIT RALF..."
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