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Editorial von Björn Brückerhoff
Interview mit Peter Glaser:
Datenschutz ist ungeil
Auf der Suche nach dem Online-Ich
Die Nadel im Heuhaufen
Verbraucher kommen zu kurz
Mündige Verbraucher verirrten sich...
Die freiwillige Entblößung
Sicherheit = Datensicherheit?
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Datenschutz ist ungeil

Interview mit dem Journalisten und Schriftsteller Peter Glaser
Interview: Björn Brückerhoff    Bild: Google (o.), Peter Glaser (r., Bearb. Neue Gegenwart)  

 

Früher, kurz bevor das Internet zum Massenmedium wurde, konnte man alle deutschen Telefonbücher auf einer CD-ROM erwerben. Später, in einer zweiten Fassung, kamen zu den Namen und Nummern sogar einige statistische Informationen hinzu. Jetzt erfuhr man zumindest die Wahrscheinlichkeit, mit der der Gesprächspartner in einer Hütte oder in einem Palast residierte. Die Aufregung war groß.

Das ist sehr lange her. Heute kann man Satellitenfotos des eigenen Gartens in jedem Routenplaner abrufen. Oder bei
Google Streetview mitunter das eigene Auto samt Kennzeichen an der Ampel stehen sehen. Ungefragt, versteht sich. Auch wenn sich jetzt viele über die geplante Vorratsdatenspeicherung aufregen: Datenschutz scheint heute für viele Menschen in ihrem Alltag kaum noch eine Rolle zu spielen. Neue Gegenwart hat mit dem Journalisten und Schriftsteller Peter Glaser über dieses Phänomen gesprochen.

Neue Gegenwart: Was sind Gründe für das offenbar fehlende Problem-bewusstsein hinsichtlich Datenschutz?


Peter Glaser: Das Problem liegt zum Teil darin, dass einem auf den ersten Blick nichts genommen wird. Meine Daten sind ja noch immer vollständig bei mir, auch wenn jemand sich eine Kopie davon aneignet.

Neue Gegenwart: Inzwischen gibt es im Alltag viel mehr Möglichkeiten, Datenspuren zu hinterlassen. Wo sehen Sie die größten Datensammler?

Glaser: Behörden, der Handel, die so genannten Sozialen Netzwerke, auch die modernen Formen des klassischen Adresshandels. Und natürlich Spammer, die jede E-Mail-Adresse absammeln, derer sie habhaft werden können.

Neue Gegenwart: Auf Websites wie „Xing“ können Nutzer detaillierte Profile über sich selbst anlegen, um sich virtuell zu „vernetzen“. Im Studentenportal „StudiVZ“ ist es zusätzlich möglich, nicht nur persönliche Interessen und Studienfächer einzugeben, sondern auch Bilder einzustellen, andere Personen auf Bildern zu markieren und auf einer individuellen, aber öffentlichen Pinnwand in jedem Profil Nachrichten zu hinterlassen – mit weitreichenden Folgen. In
Personalabteilungen werden Bewerber inzwischen nicht mehr nur „gegoogelt“. Auch Profile in sozialen Netzwerken werden überprüft. Wieso veröffentlichen Menschen derart viele private Daten?

Glaser: Die Generation, die mit dem
Web 2.0" aufwächst, ist noch ziemlich unbekümmert und sieht vor allem den Kontaktspaß, den man sich dafür einhandelt. Es ist noch zu wenig Zeit vergangen, um die mittelfristigen Folgen zu verspüren. Eine ältere Netzgeneration, die mit dem
Usenet – der Frühform eines weltweiten sozialen Netzes – aufgewachsen ist, kann da schon auf bedenklichere Erfahrungen zurückgreifen. Wenn sich damals jemand zum Beispiel im jugendlichen Überschwang radikal zu diesem oder jenem geäußert hat, kann das noch heute jeder Personalchef im Netz nachlesen. Google hat vor ein paar Jahren DejaNews gekauft, eines der größten Usenet-Archive, heute heißt es Google Groups.

Neue Gegenwart: Wo wird die Datensammlung durch den Staat oder durch Unternehmen vom Verbraucher besonders selten als problematisch empfunden?

Glaser: Beispielsweise bei so genannten Kundenkarten a la Payback Card, die einem aus purer Freundlichkeit Bonuspunkte und Prämien schenken.

Neue Gegenwart: Und: In welchen Lebensbereichen achten die Menschen am wenigsten darauf, ob sie Datenspuren hinterlassen?

Glaser: Eigentlich in allen.

Neue Gegenwart: Wie kann das Bewusstsein für den Datenschutz in der Bevölkerung am besten geweckt werden? Kommt der Medienjournalismus zu spät?

Glaser: Das Bewusstsein ist geweckt. Aber zu viel Alarmismus in der Berichterstattung erzeugt bei einem solchen Dauerthema Formen von Ignoranz als Selbstschutz. Das hat man in der Umweltbewegung in den Achtzigern ebenso gesehen wie in der so genannten Krypto-Debatte in den Neunzigern, als es um die Frage ging, ob Privatpersonen ihre Daten verschlüsseln dürfen. Ich finde deshalb Aktionen wie den
Big Brother Award gut, da wird ausgezeichnet informiert, im doppelten Sinn.

Neue Gegenwart: Unternehmen versuchen über Bonussysteme Kunden zu ködern, ihr Konsumverhalten offen zu legen. Für diese Offenlegung (Kaufkraft, Häufigkeit, Art der Produkte etc.) erhält man nach einem Punktesystem Prämien, zum Beispiel einen Akkusauger oder eine Küchenwaage. Warum fällt die Unverhältnismäßigkeit zwischen Geben und Nehmen nicht auf?

Glaser: Das frage ich mich auch. In der öffentlichen Diskussion müsste neben den Bedrohungs-Szenarien der wirtschaftliche Wert, den meine Daten darstellen, eine wesentlich größere Rolle spielen. Ich bin der Ansicht, dass die Konsumenten von den datenkonsumierenden Unternehmen behandelt werden wie Ureinwohner von Eroberern – im Vergleich zu dem Wert, den die gelieferten Daten tatsächlich darstellen, sind Bonuspunkte und derlei Glasperlen für die Eingeborenen.

Neue Gegenwart: Suchmaschinenunternehmen erfassen umfangreiche Daten über ihre Nutzer und deren Verhalten und speichern diese langfristig. Um Marktzutritt in Staaten wie China zu erhalten, sind sie oftmals zu weitreichenden Zugeständnissen bereit. Wie kann sichergestellt werden, dass diese Unternehmen mit Kundendaten redlich umgehen?

Glaser: Wenn Sigmund Freud mal in der Google-Datenbank aller Nutzeranfragen hätte wühlen können, er hätte sich gefühlt wie Onkel Dagobert in seinem Geldspeicher beim Baden in Talern. Es ist gar nicht so einfach, sich eine Vorstellung von dem zu machen, was eine Firma wie Google in der Hand hat, nämlich eine Datenbank dessen, was die Menschheit möchte, was die Menschen suchen und wollen. Google ist ein planetares Röntgengerät für unsere Absichten, geschätzte 100 Millionen Suchanfragen werden täglich an die Maschinen gerichtet. Und Google ist ein börsennotiertes Unternehmen. Wenn der Aktienkurs mal eine Weile nach unten geht, werden die Google-Aktionäre sich fragen, was sie zu verkaufen haben. Das einzige, was sie haben, sind diese unvorstellbaren Mengen an Nutzerdaten, die natürlich auch untersucht und aufbereitet werden. Wer sollte ihnen verbieten, Teile daraus zu verkaufen?

Neue Gegenwart: Wenn deutsche Nutzerdaten auf amerikanischen Servern gespeichert und anderswo verwendet werden, entsteht vermutlich eine rechtlich problematische Situation. Wie ist Ihre Meinung zum Verhalten dieser Unternehmen?

Glaser: Ich bin kein Jurist, aber so wie ich es verstehe, regelt das Recht, wie wir miteinander umgehen, das betrifft natürlich auch Unternehmen oder Staaten. Mit der Vernetzung entsteht nun erst einmal eine sozusagen chronisch problematische Rechtssituation, weil vieles in Bewegung gerät und neu ausgehandelt werden muss, das Urheberrecht zum Beispiel, oder was unter Meinungsfreiheit zu verstehen ist – in China versteht man da etwas ganz anderes darunter als in den USA oder in Deutschland. Da gibt es auch viele positive Entwicklungen. Ich lese seit längerem Blogs aus arabischen Ländern, da kann man richtig dabei zusehen, wie alte, gesellschaftliche Mauern unumkehrbar porös und durchlässig werden. Die moderne Finanzwirtschaft wäre auch nicht möglich ohne die Tatsache, dass international operierende Banken einfach ihre Festplatten zu exterritorialem Gebiet erklären – heute werden ja keine Kisten mit Goldbarren mehr von hier nach da kutschiert, da fließen goldene Bits durch die Datenleitung.

Neue Gegenwart: Sollte hier nicht der Staat als Regulierer auftreten? Wie kann das Problem international angegangen werden?

Glaser: Soweit das möglich ist, passiert es ja schon. Das Netz ist kein rechtsfreier Raum, aber internationales Recht ist eine sehr komplizierte Sache. Es gibt längst Regulierungsmöglichkeiten, die von Kritikern als viel zu weitgehend angesehen werden –  dass zum Beispiel die Root-Server, mit deren Hilfe eine Internet-Adresse überhaupt erst gefunden werden kann, in den USA stehen und von dort aus bei Bedarf die Top-Level-Domain eines ganzen Landes abgeschaltet werden kann. Oder die restriktiven Netz-Zensurmaßnahmen in China, Vietnam oder Myanmar.

Wo sehen Sie die größten Probleme der Vorratsdatenspeicherung?

Glaser: Die Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung werden missachtet und eingeschränkt.

Neue Gegenwart: Die individuelle Bedeutung der Vorratsdatenspeicherung und anderer staatlicher Maßnahmen („Bundestrojaner“ etc.) dürfte vielen nicht klar sein, obwohl es derzeit eine politische Diskussion darüber gibt. Warum wird die Debatte nicht plastischer geführt?

Glaser: Das sehe ich nicht so pessimistisch. Zu der Demonstration für Demokratie und Bürgerrechte am 22. September in Berlin sind mehr als 15.000 Menschen gekommen. Das hat es seit der Volkszählung 1987 nicht mehr gegeben.

In der Mediengesellschaft kommt die vollständige Erfassung des kommunikativen Verhaltens einer Totalüberwachung gleich. Glauben Sie, dass die Bundesregierung weiß, was sie tut?

Glaser: Ich fürchte, ja.

Neue Gegenwart: Wie will sie dabei – Ihrer Einschätzung nach – den besonders geschützten Kernbereich der Privatsphäre berücksichtigen?

Glaser: Ich sehe keine Verbesserung und auch keinen Bestandsschutz, was die Privatsphäre betrifft. Es gibt eine Tendenz, sie mit den immergleichen Argumenten immer durchlässiger zu machen – Schutz vor Terrorismus, und wer nichts zu verbergen hat, braucht sich nicht zu fürchten. Was für die Erdatmosphäre im Großen gilt, gilt auch für die vielen kleinen Privatsphären der Menschen – sie sind gefährdet durch unverantwortliche menschliche Eingriffe.

Neue Gegenwart: Was sind die aus Ihrer Sicht bedenklichsten Entwicklungen bezüglich des Abbaues von Datenschutz in den vergangenen Jahren?

Glaser: Die Lust am Exhibitionismus, von der die ganze Gesellschaft erfasst worden ist. Vor ein paar Jahren war Big Brother Synonym für Überwachung und Kontrolle. Als 1984 der Apple Macintosh eingeführt wurde, gab es diesen dramatischen Werbespot mit einer Menschenmasse, die dem großen Bruder lauscht und der jungen Frau, die ihm einen Hammer ins Gesicht wirft. Seit den Container-Shows von de Mol steht Big Brother für moderne Fernsehunterhaltung. Oder: Alle reden in aller Öffentlichkeit die intimsten Dinge in ihre Mobiltelefone. Die ganze Kosumwerbung ist ein einziger, rauschender und glitzernder Aufruf, sich zu zeigen in seiner ganzen Pracht. Wer sollte da seine Daten schützen wollen? Datenschutz ist ungeil.

Neue Gegenwart: Warum nutzen Sie Google trotzdem?

Glaser: Hier such’ ich, und ich kann nicht anders.

Welche weiteren Vorstöße hinsichtlich des Abbaues von Datensicherheit und individuellem Datenschutz prognostizieren sie? Kurz: Was erwartet uns – Ihrer Meinung nach – 2020?

Glaser: Man kann eine technokratische Zukunftsprojektion machen, die ich für wahrscheinlich halte, nämlich dass neue Hardware und Software immer auch für staatliche Kontrollzwecke eingesetzt werden wird. Das wird auch in Zukunft zu Pleiten führen, wie wir sie heute zum Beispiel bei der automatischen Gesichtserkennung belächeln dürfen (oder eben nicht: Passbilder mit lächelndem Gesicht dürfen nicht für den maschinenlesbaren Reisepass verwendet werden).

Was ich viel interessanter finde ist die Frage, ob wir unser Geheimnis verlieren, wenn  unsere Daten und Profile einbehalten und verarbeitet werden, oder ob da nicht noch etwas ganz anderes ist, an dem jede Maschine scheitert.

Zur Person




Peter Glaser

Geboren 1957 in Graz, ist Schriftsteller, Journalist und Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs. 1986 bis 1996 erschien seine Kolumne "Glasers heile Welt" in der Zeitschrift Tempo, 2002 erhielt er für seine "Geschichte von Nichts" den Ingeborg-Bachmann-Preis. Er schreibt u. a. regelmäßig eine Kolumne für Focus Online
(„Gla-sers modernste Zeiten") und publiziert im Blog der Zeitschrift Technology Review.