Afghanistan: Gibt es eine
Medienstrategie der Taliban?

 

 



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Text:
Babak Khalatbari, Kabul



Militärische Auseinandersetzungen sind im 21. Jahrhundert aufgrund modernster Waffentechnologien oftmals schnell entschieden. Nicht mehr als neun Wochen dauerte der Kosovo-Krieg (1999), lediglich sechs Wochen der Krieg in Afghanistan (2001) und nur drei Wochen der Krieg gegen den Irak (2003). Der letztendliche Ausgang eines Krieges entscheidet sich trotzdem immer in der nachhaltigen Beilegung des militärischen Konflikts. Zwischen Staaten oder Ethnien in einem Staat. Diesen Postkriegszustand nennt man Friedensprozess. Manchmal kann er mehr Zeit in Anspruch nehmen als der eigentliche Krieg. Auch kann der Frieden ab und an ein trügerisches, gefährliches wie teures Geschäft sein und mit Rückschlägen aufwarten. So beispielsweise in Afghanistan. Die Medien berichten darüber. Täglich. Angefangen hat alles am 14.11.2001, dem Tag an dem die Taliban von den Kämpfern der Nordallianz mithilfe internationaler Unterstützung aus Kabul vertrieben wurden. Afghanistan war vom islamistischen Joch befreit – die kämpfenden Koranschüler waren besiegt. So titelten die Zeitungen. Zeitgleich mit den ersten ISAF-Soldaten trafen auch die internationalen Journalisten ein und berichteten über die Entwicklungen vor Ort. Manche waren auch schon als „embedded journalists“ von Anfang an dabei. Es folgten Diplomaten und Entwicklungshelfer. Das war vor sechs Jahren.

Der Gordische Knoten

Seit dem hat sich in Afghanistan viel verändert. Positiv wie negativ. Gleichgeblieben sind die mannigfaltigen Bestrebungen beim Wiederaufbau und der Demokratisierung des kriegsgeschundenen Staates zu helfen. Die Ziele der Stabilisierungsbemühungen bestehen aus der Stärkung und des Ausbaus der Sektoren Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit, guter Regierungsführung, Bildung sowie die Förderung der sozialen wie wirtschaftlichen Entwicklung. Kurzum, in Afghanistan geht es um die Optimierung des Zusammenspiels von Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Dieses Zusammenspiel kann als eine Art Gordischer Knoten beschrieben werden. Der Legende nach bezeichnete ursprünglich der Ausdruck die kunstvoll verknoteten Seile am Streitwagen Königs Gordius von Phrygien. Es wurde vom Orakel in Delphi prophezeit, dass nur derjenige, der diesen Knoten lösen könne, die Herrschaft über Persien erringen würde. Nun gut, die Nato ist sicherlich kein Orakel und quartiert auch eher in Brüssel als in Delphi und zu guter Letzt ist Afghanistan auch nicht Persien. Aber das Land zwischen den Bergen des Hindukusch und Sefidkoh liegt zumindest in der Nachbarschaft. Alexander der Große soll übrigens den Knoten im Frühjahr 333 vor Christus einfach mit seinem Schwert durchtrennt haben. So einfach scheint das heute nicht mehr zu sein, denn in Afghanistan ist man seit 2001 dabei ihn zu lösen. Jedoch ist man bislang nicht im erhofften Tempo vorangekommen. Das Problem ist Programm, denn rund sechs Jahre nach der Vertreibung der Taliban aus Kabul zählt die Zeit neben dem militärischen und finanziellen Engagement mit zu den wichtigsten Ressourcen. Ganz nach dem Motto: die Uhren haben die ISAF-Soldaten, die Talibankämpfer die Zeit. Zudem zählte in den Jahren 2002 bis 2005 noch die generelle Faustformel, dass in den Medien über den Irak „zu schlecht“ und über Afghanistan „zu gut“ berichtet wird. Seit 2006 ist diese Erkenntnis nicht mehr zutreffend. In Afghanistan ereigneten sich im vorletzten Jahr 123 Selbstmordanschläge und über 140 in 2007. Positive Meldungen werden bei solchen markanten Entwicklungen de facto fast gar nicht mehr wahrgenommen.


Schlechte Nachrichten versus gute Nachrichten?

Die Themenfindung in den überregionalen Medien trägt nach dem Motto „nur eine schlechte Nachricht ist ein gute Nachricht“ unter anderem, neben der negativen Veränderung der Rahmenbedingungen, mit dazu bei, dass aus Afghanistan größtenteils einseitig berichtet wird. Ein Phänomen, das sicherlich auf zwei Umständen basiert. Erstens erzeugt die Talibanstrategie des „Zerstören und Mordens“ mehr Aufmerksamkeit und Schlagzeilen als das „Wiederaufbau und Ausbildungskonzept“ des Westens. Und zweitens, gibt es fast keine „stehenden Korrespondenten“ mehr vor Ort. Oftmals befinden sich Journalisten nur für ein paar Tage im Land und verbringen die meiste Zeit in hermetisch abgeriegelten Hotels, Militäreinrichtungen oder gepanzerten Fahrzeugen. Verständlich, denn die Sicherheitssituation ist nicht immer ungefährlich. Mancher beobachtet auch lediglich aus der Ferne. Neu Delhi, Singapur oder auch Bangkok sind beliebte Standorte der Asienkorrespondenten. Ausnahmen bestätigen immer wieder die Regel. Die Majorität der zu Afghanistan erscheinenden Medienbeiträge fokussiert sich immer mehr auf Themen wie Taliban, Entführungen, Selbstmordanschläge, Drogen, Warlords, Al-Qaida & Co. Eine ausgewogene Berichterstattung kommt nach Ansicht des Verfassers zu selten vor. Gerade deswegen ist es folgerichtig, neben Entwicklungshemmnissen und -bedrohungen auch ab und an Erfolge aus Afghanistan aufzuzählen. Neben den Rückschlägen muss auch verdeutlicht werden, was in den letzten Jahren bewirkt worden ist.


Erfolgsgeschichten sind keine Märchen

So hat sich beispielsweise das legale Pro-Kopf-Einkommen in Afghanistan (US-$ 335) seit 2001 fast verdreifacht, das Wirtschaftswachstum liegt seit mehreren Jahren im zweistelligen Bereich und wird für 2006/2007 auf rund 14 Prozent geschätzt und die afghanische Regierung konnte die eigenen Einnahmen von 275 Mio. US-$ im Jahr 2005 auf 715 Mio. US-$ in 2006 erhöhen. Des Weiteren haben 50 Prozent der schulpflichtigen Kinder Zugang zu Schuleinrichtungen, im Jahr 2002 waren es nur 22 Prozent. Seit 2001 wurden in Afghanistan insgesamt rund 3.500 Schulen gebaut, alleine 300 von der Bundesrepublik. Damit wurde fast jede zehnte Schule mit deutschen Mitteln errichtet. Durch diese Hilfe hat sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler auf ca. 6,5 Millionen, rund zwei Dritten sind davon Mädchen, erhöhen können. Zusätzlich wurden 30.000 Lehrerinnen und Lehrer aus- und fortgebildet. Ähnlich sieht es mit der medizinischen Grundversorgung aus, denn gegenwärtig verfügen ca. bis zu 80 Prozent der Bevölkerung über geregelten Zugang zu ihr. Durch die sich verbessernden Rahmenbedingungen kehrten seit 2001 insgesamt mehr als 4,6 Mio. Binnenvertriebene und Flüchtlinge in ihre Herkunftsregion bzw. nach Afghanistan zurück
(1) Mit seinen finanziellen Leistungen und Zusagen in Höhe von bisher ca. 900 Millionen Euro ist die Bundesrepublik insgesamt das viertgrößte Geberland für Afghanistan. Durch die Wiederherstellung der Trinkwasser- und Stromversorgung in Kabul, Kunduz und Herat haben rund 2,5 Mio. Personen wieder Zugang zu Energie und Frischwasser. Ferner wurden mehr als 8.000 Entnahmestellen für Trinkwasser bereitgestellt, insgesamt 1.700 Wasserreservoirs und 55 dörfliche Wassernetze versorgen circa vier Mio. Menschen. Der Bau von Brücken, Straßen und Bewässerungsanlagen trägt dazu bei, dass die Rahmenbedingungen für eine sich gerade entwickelnde Binnenwirtschaft geebnet werden. Diese wird speziell auch durch die Erneuerung einer Hauptverkehrsader, der so genannten ring road, an der rund 60 Prozent der Bevölkerung leben, nachhaltig unterstützt. Insgesamt wurden 715 km der ring road erneuert und 2.400 Kilometer Zufahrtsstraßen in Stand gesetzt.

Frieden am Hindukusch?

Die mediale Berichterstattung über Tagesereignisse aus Afghanistan wird im Jahr 2008 mit großer Sicherheit eine zentrale Rolle einnehmen. Die Talibanbewegung versucht seit einiger Zeit mit einer neuen Anschlagsquantität wie -qualität nicht nur in Afghanistan für Schrecken und Chaos zu sorgen, sondern auch die öffentliche Meinung in vielen westlichen Staaten beeinflussen zu wollen. Vielleicht wird diese Terrorstrategie sogar aufgehen, denn die Geduld vieler Geberländer scheint bezüglich des Afghanistan-Engagements kontinuierlich durch die öffentliche Meinung sowie die negative Berichterstattung vieler Medien weiter abzunehmen. Eigentlich nicht verständlich, denn die wirtschaftliche Entwicklung in Afghanistan, ganz speziell im Norden, ist nach wie vor positiv. Parallel zu diesem Trend geht aber auch die Aufstandsintensität, hier speziell im Süden, nach oben. Letztendlich wird die Zukunft Afghanistan davon abhängen, ob die positive Entwicklungskurve die sich negativ auswirkende Aufstandsentwicklung dominiert, bevor die Geduld der Geberländer aufgebraucht ist. In Bezug auf diese Schlussfolgerung muss der Themenfindung in den überregionalen Medien ein großer Stellenwert eingeräumt werden. Denn durch die Berichterstattung über hervorstechende negative Tagesereignisse wie Terroranschläge und Entführungen, kommt schnell die objektive Vogelperspektive auf den Gesamtentwicklungsprozess in Afghanistan abhanden.



Der Autor




Dr. Babak Khalatbari

1975 geboren in Deutschland, ist Alt-Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und studierte in Münster, Köln und Kuwait. Seit 2005 leitet er das Büro der KAS in Kabul, Afghanistan. Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist eine politische Stiftung der Bundesrepublik Deutschland, die mit ihren Programmen und Projekten einen aktiven und wirksamen Beitrag zur internationalen Zusammenarbeit und Verständigung leistet. Im August 2006 wurde Khalatbari für sein Engagement im Einsatzland vom damaligen ISAF-Deputy Commander, Generalmajor Hans-Werner Ahrens, mit der Medal for Excellence ausgezeichnet. Seit Anfang des Jahres leitet er auch das KAS-Büro in Islamabad, Pakistan.

kas.kabul (at) ceretechs.com

Fußnote

(1)
Weitere ca. 2,5 Mio. halten sich noch in Pakistan und rund 1,9 Mio. im Iran auf.