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 PERSPEKTIVEN
 Argentinien am 
    Scheideweg
 
 TEXT UND BILDER:
  THOMAS KLIEGEL, BUENOS AIRES 
 
 Argentinien steht der 
    entscheidende Moment seiner demokratischen Geschichte bevor. Am 27. 
    April wird in einem ersten Wahlgang versucht, einen Präsidenten zu finden, 
    der vor vielen unpopulären und schwer lösbaren Aufgaben stehen wird.
 
 
 Das Präsidenten-Karussell dreht sich
 
 Seit den 90er Jahren ist Argentinien in 
    eine wirtschaftliche Krise enormen Ausmaßes geraten. Die 
    Auslandsverschuldung ist immens hoch, der Internationale 
    Währungsfonds stellte seine Zuwendungen ein 
    und die Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Probleme wie der Anstieg 
    der Kriminalität führten im Dezember 2001 zu den Protesten gegen den 
    damaligen Präsidenten Fernando de la Rua. Dieser trat etwas später unter dem 
    Druck der Öffentlichkeit zurück und in der Casa Rosada – dem „Weißen Haus“ 
    Argentiniens – lösten sich die Übergangspräsidenten innerhalb von Tagen ab. 
    Zu guter letzt wurde doch noch eine Übergangsregierung unter Eduardo Duhalde 
    gebildet, die seitdem das Land regiert. Die wohl unpopulärste und zu den 
    größten Protesten führende Maßnahme war die Aufhebung der Parität des 
    argentinischen Peso zum US-amerikanischen Dollar. Zu diesem Zeitpunkt 
    ohnehin lediglich eine Fiktion innerhalb Argentiniens, führte die Aufhebung 
     
    zu einer sofortigen Abwertung des Pesos im Verhältnis zum 
    Dollar. Dabei wurden sämtliche Dollarkonten zu einem Kurs von 1 
    zu 1,40 in Peso 
    umgewandelt, der danach sogar auf einen Kurs von 1 zu 3 einbrach. Während 
    dieser Abwertung war es den Argentiniern nicht möglich, auf ihre Konten 
    zuzugreifen, was  zu Protesten und 
    Ausnahmezuständen in den Städten 
    führte. Durch diese Bankenkrise wurde die  breite 
    argentinische Mittelschicht in ihren Grundfesten erschüttert. Seitdem wankt 
    die argentinische Wirtschaft und die Menschen halten sich mit mehreren Jobs 
    und Gelegenheitsarbeiten über Wasser.
 
 Aus diesen Gründen wird die kommende Wahl 
    für die Zukunft des Landes bestimmend sein. Insofern verwundert es auch 
    wenig, dass zu dieser Wahl mit 19 Kandidaten die meisten in der Geschichte 
    der argentinischen Demokratie antreten werden. Chancen dürfen sich jedoch 
    lediglich fünf, maximal sechs Kandidaten ausrechnen. Aber dies zeigt schon 
    den für Lateinamerika typischen Zusammenbruch des Zweiparteiensystems. 
    Allein drei dieser Kandidaten – Carlos Menem, Néstor Kirchner und Adolfo 
    Rodriguez Saá - sind Peronisten, also Angehörige der von Juan D. Perón 
    gegründeten und mittlerweile zersplitterten Bewegung. Die anderen beiden – 
    Elisá Carrió und Ricardo López Murphy - haben erst vor kurzem ihre eigenen 
    Parteien gegründet und verfügen über keine nennenswerte politische Erfahrung. 
    Sie entstammen entstammen der Jurisprudenz sowie der Wirtschaft. Der sechste im 
    Bund ist der Kandidat der UCR, der Radikalen, Leopoldo Moreau, der wohl 
    kaum Chancen auf einen Wahlerfolg hat,  schon deshalb, weil der 
    letzte regierenden Präsident de la Rua derselben Partei angehörte.
 
 
  
 Gewählt 
    wird der Präsident direkt vom Volk, notfalls in zwei Wahlgängen. Falls der 
    stärkste Kandidat nicht zumindest 45 Prozent der gültig abgegebenen Stimmen oder 
    zwischen 40 bis 45 Prozent der Stimmen mit einem Vorsprung von mindestens 10 
    Prozentpunkten vor dem zweiten erreicht, so treten die beiden stärksten 
    Kandidaten in der  Ballotage – dem zweiten Wahlgang – nochmals 
    gegeneinander an. Dies ist bisher seit der Einführung dieses Systems 1994 
    zwar noch nicht vorgekommen, aber die Premiere steht diesmal wohl bevor.
 
    Von den genannten Namen wird besonders 
    der Menems vertraut klingen. Menem regierte Argentinien zehn Jahre von 1989-99 
    und wird von vielen als Mitverantwortlicher
    –
    wenn nicht 
    Hauptverantwortlicher 
    
    
    – der argentinischen Krise angesehen. Dennoch hat er 
    vielleicht die besten Chancen, ein drittes Mal Präsident Argentiniens zu 
    werden, denn an ihm scheiden sich die Geister. Während ihn
    die gebildete Ober- 
    und Mittelschicht besonders in Buenos Aires verteufelt und jeden anderen 
    Kandidaten vorzieht, so kann er bei der Unterschicht in den Provinzen durch 
    seine zum Teil haltlosen Versprechungen punkten. Menem ist ein 
    Paradebeispiel für die Krankheit der lateinamerikanischen Politik, geprägt 
    von Korruption, Selbstbereicherung und Vetternwirtschaft. 
    Es ist nicht unwahrscheinlich, dass 
    Carlos Menem am 27. April den ersten Wahlgang für sich entscheidet, doch 
    wird ihm wohl die notwendige Mehrheit fehlen. In einem zweiten Wahlgang 
    kommt es dann darauf an, ob die Ablehnung Menems in der Bevölkerung zu einem 
    Sieg des Gegenkandidaten allein aus dem Beweggrund „bloß nicht Menem“ führen 
    kann. Für Argentinien jedenfalls wird es höchste Zeit, an wirtschaftlich 
    erfolgreichere Zeiten anzuknüpfen, um nicht dem Weg anderer 
    lateinamerikanischer Staaten ins politische und ökonomische Chaos zu folgen. 
    Zu den vordringlichsten Zielen des Siegers dieser Wahl müssen somit der 
    Abbau der Auslandsverschuldung, die Ankurbelung der nationalen Wirtschaft 
    und die Bekämpfung der Armut und Arbeitslosigkeit gehören. Es bleibt zu 
    hoffen, dass der geeignete Kandidat für dieses Mammutprogramm schnell 
    gefunden wird.
 Mittlerweile 72 Jahre alt, mit einer wesentlich jüngeren Frau zum zweiten 
    Mal verheiratet und  getrieben von seiner enormen Hybris, 
    ruft Menem zu 
    immer neuen Taten. So ändert er seine politische Auffassung mit der 
    sprichwörtlichen Regelmäßigkeit mit der andere ihre Kleidung wechseln. 
    Zunächst war er für den Irak-Krieg, mit Blick auf helfende US-Investitionen, 
    heute ganz mit der Stimme des Volkes gegen den Einsatz. Er versprach außerdem die Wiedereinführung der 
    Peso-Dollar Parität ohne jegliche wirtschaftliche Vernunft, von der wohl eindeutigen Undurchführbarkeit jedoch nicht mehr die 
    Rede ist.
 
 Menem besitzt ein gewaltiges Vermögen, welches, so jedenfalls die zornigen 
    Bürger Argentiniens, letztendlich aus ihren Taschen stammt. In seiner 
    Heimatprovinz La Rioja, in der es außer einigen Dörfern und 
    Farmen nichts gibt, steht ein von ihm mit Staatsgeldern errichteter 
    internationaler Großflughafen.
 
 Auch seine Beziehung zu Presse und Medien ist 
    undurchschaubar, er tritt als Kandidat mit der meisten Wahlwerbung auf, die 
    größte überregionale Zeitung Clarin ist ausgesprochen menemfreundlich und 
    selbst in Fußballstadien wird für ihn geworben. Ein Beispiel seiner durchaus 
    als skrupellos zu bezeichnenden Wahlwerbung ist sein Slogan im Fernsehen: Er 
    [Menem] wisse, dass viele Leute enttäuscht von ihm und zornig  auf ihn 
    seien, jedoch sei er selbst enttäuscht, traurig und zornig gewesen, doch 
    habe er von den Knien zurück auf die Füße gefunden. Dazu muss man wissen, 
    dass einer der Söhne Menems vor kurzem ums Leben gekommen ist, worauf er 
    hier Bezug nimmt. Die Beziehung zu seiner politischen Leistung bleibt 
    allerdings wohl jedem unklar.
 
 
  
    
 
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